
MedCanG in der Praxis:
Rechtssicherheit bei der Cannabis-Versorgung
Die Cannabis-Abgabe hat sich seit April 2024 grundlegend verändert. Was Apotheken jahrelang als komplizierte BtM-Abgabe kannten, wurde durch das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) deutlich vereinfacht. Dennoch entstehen in der Praxis neue Herausforderungen, die rechtssichere Abläufe erfordern.
Die neue Ausgangslage verstehen
Mit der Herausnahme aus dem Betäubungsmittelgesetz entfallen die meisten bisherigen Hürden bei der Cannabis-Versorgung. Apotheken können Cannabis nun wie andere verschreibungspflichtige Arzneimittel behandeln - ohne BtM-Tresor, ohne Sonderdokumentation und ohne die aufwendigen BtM-Zuschläge.
Diese Vereinfachung bringt jedoch eine wichtige Konsequenz mit sich: Cannabis wird wirtschaftlich interessanter für Apotheken, da der administrative Aufwand sinkt und gleichzeitig neue Vergütungsmöglichkeiten entstehen.
Allerdings führt die Vereinfachung zu einer paradoxen Situation. Während die meisten Cannabis-Präparate dem neuen MedCanG unterliegen, bleiben einige Cannabinoide wie Sativex® oder Nabilon weiterhin BtM-pflichtig. Diese Parallelität verschiedener Rechtsbereiche schafft das erste Risiko für Rechtsfehler in der täglichen Praxis.
Vergütung: Vier Kategorien bestimmen die Abrechnung
Die wirtschaftliche Bewertung der Cannabis-Abgabe hängt entscheidend davon ab, in welche rechtliche Kategorie das jeweilige Präparat fällt. Diese Kategorisierung bestimmt nicht nur die Abrechnung, sondern auch die gesamte Behandlung des Arzneimittels in der Apotheke.
Cannabis-Blüten, die etwa 80% aller Verordnungen ausmachen, unterliegen der freien Preisbildung nach § 78 AMG. Bei Präparaten wie Bedrocan oder Pedanios können Apotheken marktübliche Aufschläge zwischen 30% und 100% erheben. Diese Flexibilität macht Blüten-Cannabis oft zu einem wirtschaftlich attraktiven Segment.
Rezepturarzneimittel wie Dronabinol-Kapseln oder Cannabis-Vollextrakte werden hingegen nach der klassischen Rezepturverordnung vergütet: 100% Aufschlag auf den Einkaufspreis zuzüglich einer Rezepturgebühr zwischen 8,35€ und 21,50€. Der höhere Aufwand bei der Herstellung rechtfertigt diese Vergütungsstruktur.
Die seltenen Fertigarzneimittel wie Epidyolex® folgen der Standard-AMPreisV mit 3% Zuschlag plus 8,35€ Festzuschlag. Hier profitieren Apotheken von der gewohnten, kalkulierbaren Vergütung.
Eine Sonderstellung nehmen die verbliebenen BtM-pflichtigen Cannabinoide ein. Sativex® und Nabilon werden zusätzlich zur AMPreisV mit den bekannten BtM-Zuschlägen (weitere 3% plus 0,51€) vergütet. Diese doppelte Vergütungsstruktur kompensiert den erhöhten Dokumentationsaufwand.
Wo die Rechtsfallen lauern
Die scheinbare Vereinfachung durch das MedCanG verdeckt mehrere Bereiche, in denen Apotheken ungewollt in rechtliche Schwierigkeiten geraten können. Diese Risiken entstehen oft durch die Vermischung alter BtM-Gewohnheiten mit neuen MedCanG-Anforderungen.
Das Abgrenzungsproblem zwischen BtMG und MedCanG
Die größte Gefahr liegt in der unklaren Abgrenzung zwischen BtM-pflichtigen und MedCanG-Präparaten. Während Cannabis-Blüten eindeutig dem MedCanG unterliegen, bleiben synthetische Cannabinoide teilweise BtM-pflichtig. Ein Mitarbeiter, der Sativex® wie ein normales Cannabis-Präparat behandelt, riskiert einen Verstoß gegen die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung.
Praktisch bedeutet das: Apotheken müssen zwei parallele Systeme für Lagerung, Dokumentation und Abgabe etablieren. Die Schulung des Personals zur eindeutigen Unterscheidung wird dadurch zu einer kritischen Compliance-Aufgabe.
Heilmittelwerbegesetz als unterschätzte Gefahr
Das zweite große Risikofeld entsteht durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Cannabis unterliegt denselben Werbebeschränkungen wie andere verschreibungspflichtige Arzneimittel - mit einem wichtigen Unterschied: Die öffentliche Aufmerksamkeit ist deutlich höher.
Websites oder Schaufenster-Werbung mit Formulierungen wie "Cannabis gegen chronische Schmerzen" können schnell zu kostspieligen Abmahnungen führen.
Die Grenze zwischen erlaubter Information und verbotener Werbung verläuft bei Cannabis besonders scharf. Während "Cannabis-Beratung nach ärztlicher Verordnung verfügbar" rechtlich unbedenklich ist, wird "Cannabis hilft bei Schmerzen" bereits als unzulässige Heilungsanpreisung gewertet.
Dokumentations- und Meldepflichten als Routine etablieren
Das MedCanG schafft neue Berichtspflichten, die in bestehende Apothekenabläufe integriert werden müssen. Die jährliche Bestandsmeldung an das BfArM bis zum 15. Februar erfordert eine systematische Erfassung aller Cannabis-Zu- und Abgänge, aufgeschlüsselt nach Standorten und Präparaten.
Diese Meldepflicht unterscheidet sich grundlegend von der gewohnten BtM-Dokumentation. Während BtM-Bestände kontinuierlich überwacht werden, erfolgt die Cannabis-Bestandsmeldung jährlich und umfasst andere Kategorien.
Apotheken, die diese Unterschiede nicht systematisch berücksichtigen, riskieren Ordnungswidrigkeitsverfahren.
Praktische Umsetzung strukturiert angehen
Die erfolgreiche Integration der Cannabis-Abgabe in den Apothekenalltag erfordert einen systematischen Ansatz, der sowohl die neuen Freiheiten als auch die verbliebenen Pflichten berücksichtigt.
Bei der Lagerung profitieren Apotheken von den vereinfachten Anforderungen. Cannabis muss lediglich vor unbefugtem Zugriff geschützt werden - ein verschließbarer Schrank genügt. Gleichzeitig sollten die optimalen Lagerbedingungen (15-25°C, 45-65% Luftfeuchtigkeit, Lichtschutz) eingehalten werden, um die Arzneimittelqualität zu gewährleisten.
Die Patientenberatung erfordert besondere Aufmerksamkeit, da Cannabis-Patienten oft wenig Erfahrung mit der Anwendung haben. Themen wie Verkehrstüchtigkeit, Dosierung und Wechselwirkungen sollten strukturiert angesprochen und kurz dokumentiert werden. Diese Dokumentation schützt vor späteren Haftungsansprüchen.
Bei der Lieferantenwahl müssen Apotheken die § 4 MedCanG-Erlaubnis ihrer Großhändler prüfen und dokumentieren. Diese Prüfung sollte jährlich wiederholt werden, da Erlaubnisse verfallen können.
Rechtssicherheit als kontinuierliche Aufgabe
Die Cannabis-Abgabe nach MedCanG erfordert einen langfristigen Lernprozess. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind zwar klarer geworden, aber die praktische Umsetzung bleibt anspruchsvoll.
Apotheken, die systematisch vorgehen und ihre Abläufe kontinuierlich überprüfen, können von den neuen Möglichkeiten profitieren, ohne rechtliche Risiken einzugehen.
Die Investition in strukturierte Prozesse und Mitarbeiterschulungen zahlt sich dabei doppelt aus: Sie schafft Rechtssicherheit und ermöglicht gleichzeitig eine wirtschaftlich erfolgreiche Cannabis-Versorgung.
CANAbene im Dialog
Sie haben Fragen zur Cannabis-Rechtslage?
Juristische Grauzonen bei der Cannabis-Abgabe, komplexe Dokumentationspflichten oder Unsicherheiten bei Werbung und HWG? Die Rechtslage entwickelt sich dynamisch und individuelle Fälle erfordern fundierte juristische Einschätzungen. CANAbene leistet keine Rechtsberatung. Wir verfügen jedoch über ein etabliertes Netzwerk spezialisierter Fachanwälte für Arzneimittel- und Apothekenrecht, die mit den Besonderheiten der Cannabis-Gesetzgebung vertraut sind.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Benötigt meine Apotheke eine zusätzliche Erlaubnis zur Abgabe von Cannabis?
Nein. Die bestehende Apothekenbetriebserlaubnis genügt gemäß § 5 MedCanG. Eine zusätzliche Antragstellung ist nicht erforderlich.
Müssen Cannabis-Produkte weiterhin im Tresor gelagert werden?
Nein, die Tresor-Lagerung ist seit der MedCanG-Novelle nicht mehr erforderlich. Cannabis-Arzneimittel können wie andere verschreibungspflichtige Medikamente sachgerecht gelagert werden, wobei die üblichen pharmazeutischen Lagerungsanforderungen (Temperatur, Licht, Feuchtigkeit) zu beachten sind.
Können alle Ärzte Cannabis auf eRezept verordnen?
Ja, seit April 2024 ist Cannabis als reguläres Arzneimittel per eRezept verordnungsfähig. Alle Ärzte mit eRezept-Berechtigung können Cannabis-Arzneimittel digital verschreiben. Die bisherigen Einschränkungen auf Betäubungsmittelrezepte entfallen.
Wie lange sind Cannabis-Rezepte gültig?
Cannabis-Rezepte haben eine verlängerte Gültigkeit: 28 Tage für gesetzlich Versicherte und bis zu drei Monate für Privatrezepte. Dies entspricht den Gültigkeitszeiten anderer verschreibungspflichtiger Arzneimittel.
Wie dokumentiere ich Cannabis-Bestände korrekt?
Alle Zu- und Abgänge müssen dokumentiert und drei Jahre aufbewahrt werden, getrennt nach Betriebsstätte und Cannabis-Art. Digitale Bestandsbücher sind zulässig. Zusätzlich ist eine jährliche Bestandsmeldung an das BfArM bis zum 15. Februar erforderlich.
Wie erkenne ich den Unterschied zwischen MedCanG- und BtM-pflichtigen Cannabinoiden?
Cannabis-Blüten und -Extrakte unterliegen dem MedCanG. Synthetische Cannabinoide wie Sativex® (Nabiximols) und Nabilon bleiben BtM-pflichtig und erfordern die bekannte BtM-Dokumentation.
Welche Beratungspflichten bestehen bei der Cannabis-Abgabe?
Die regulären pharmazeutischen Beratungspflichten gelten unverändert. Apotheker sollten über Anwendung, Dosierung, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Fahrtüchtigkeit beraten sowie die Plausibilität der Verordnung prüfen.
Welche Aussagen zu Cannabis sind werberechtlich zulässig?
Sachliche Verfügbarkeitsinformationen sind erlaubt ("Cannabis-Beratung nach ärztlicher Verordnung"). Heilungsversprechen oder Wirkungsangaben sind verboten und können mit Bußgeldern bis 50.000 € geahndet werden.
Weiterführende Ressourcen:
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