
Erste Urteile bei anhaltender Rechtsunsicherheit
Cannabis-Werbung im Spannungsfeld zwischen HWG und Marktpraxis
Die Bewerbung von medizinischem Cannabis bewegt sich zwischen etablierter HWG-Rechtslage und gelebter Marktpraxis. Während die Gerichte erste Urteile fällen, experimentieren Marktteilnehmer mit unterschiedlichen Werbeansätzen. Apotheken stehen vor der Herausforderung, zwischen rechtlicher Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit zu navigieren.
Erste Klarstellungen durch die Rechtsprechung
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat am 6. März 2025 wichtige Weichen gestellt und einem Cannabis-Vermittlungsportal verschiedene Werbepraktiken untersagt (Az. 6 U 123/24). Das Urteil zeigt: Die Cannabis-Liberalisierung 2024 ändert nichts an den grundsätzlichen HWG-Bestimmungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel.
Besonders problematisch bewertete das Gericht die Bewerbung von Fernbehandlungen ohne angemessenen persönlichen Arztkontakt sowie irreführende Gesundheitsversprechen ohne wissenschaftliche Grundlage. Auch die Verschleierung kommerzieller Interessen durch scheinbar neutrale Beratungsangebote stieß auf deutliche Kritik.
Zu beachten ist, was das Gericht nicht beanstandete: Das Urteil konzentrierte sich auf irreführende Geschäftspraktiken, traf aber keine grundsätzlichen Aussagen zur Zulässigkeit von Indikationshinweisen bei ordnungsgemäßer Kennzeichnung.
Praxisbeispiel:
Eine Formulierung wie „Cannabis hilft bei chronischen Schmerzen“ ist problematisch und wurde vom OLG Frankfurt als unzulässig bewertet. Hingegen ist eine sachliche Angabe wie „Cannabisblüten mit 20 % THC-Gehalt, verschreibungspflichtig“ rechtlich unbedenklich.
Unterschiede zwischen Rechtslage und Marktpraxis
Ein Blick ins Internet zeigt eine Diskrepanz zur theoretischen Rechtslage. Nahezu alle Cannabis-Anbieter – von spezialisierten Apotheken bis zu Vermittlungsplattformen – verwenden Indikationshinweise wie „bei chronischen Schmerzen“, „Schlafstörungen“ oder „Übelkeit“. Diese verbreitete Praxis steht in Spannungsverhältnis zu den HWG-Vorgaben für verschreibungspflichtige Arzneimittel.
Diese Diskrepanz erklärt sich durch mehrere Faktoren: Die Cannabis-spezifische Rechtsprechung befindet sich noch im Aufbau, viele Grenzfälle sind ungeklärt. Gleichzeitig bewerten offenbar viele Marktteilnehmer das Abmahnrisiko als kalkulierbar und nehmen mögliche rechtliche Konsequenzen bewusst in Kauf. Hinzu kommt, dass die systematische Verfolgung von HWG-Verstößen im Cannabis-Bereich noch nicht flächendeckend stattfindet.
Konkrete Risiken für Apotheken
Trotz der unklaren Rechtslage bestehen durchaus konkrete Risiken. Konkurrierende Apotheken, Ärzte- und Apothekerkammern sowie spezialisierte Abmahnvereine können bei eindeutigen Verstößen tätig werden. Neben Anwaltskosten können Vertragsstrafen bei Wiederholungen entstehen.
Zu beachten ist, dass die Cannabis-Branche unter verstärkter Beobachtung steht. Verstöße werden hier aufmerksamer verfolgt als in anderen Arzneimittelbereichen. Direkte Heilungsversprechen ohne Arztvorbehalt, irreführende Fernbehandlungs-Werbung oder gesundheitsbezogene Aussagen ohne wissenschaftliche Basis gelten als besonders problematisch.
Praxisbeispiel:
Eine Werbung wie „Erfahrungsberichte unserer Patienten zeigen: Cannabis lindert Migräne“ birgt ein hohes Abmahnrisiko. Dagegen ist die Aussage „Cannabis ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das nur auf ärztliche Verordnung erhältlich ist“ rechtlich sicher.
Empfehlung: Vorsicht vor Mut
Angesichts der Rechtsunsicherheit empfiehlt sich für Apotheken ein defensiver Ansatz. Auch wenn andere Marktteilnehmer riskanter agieren, sollten Apotheken ihre besondere Verantwortung und Reputation im Gesundheitswesen berücksichtigen.
Zulässig und risikoarm sind reine Produktinformationen wie Hersteller, THC/CBD-Gehalt und Verfügbarkeit. Ebenso unproblematisch ist der Hinweis auf die Verschreibungspflicht und die Notwendigkeit ärztlicher Beratung. Allgemeine Informationen über Cannabis als Arzneimittel bewegen sich ebenfalls im sicheren Bereich.
Muster für rechtssichere Formulierung:
„Cannabisblüten, verschiedene Sorten, nur auf ärztliche Verschreibung. Keine Angaben zu Anwendungsgebieten. Bitte sprechen Sie mit Ihrem Arzt.“
Vermieden werden sollten hingegen konkrete Indikationshinweise, gesundheitsbezogene Werbeaussagen oder die Bewerbung von Fernbehandlungen ohne persönlichen Erstkontakt. Auch Patientenerfahrungen als Werbemittel bergen erhebliche Risiken.
Notwendige Maßnahmen zur Rechtskonformität
Apotheken sollten umgehend alle Cannabis-Werbematerialien überprüfen und problematische Indikationshinweise entfernen. Ein qualifizierter Disclaimer wie „Cannabis ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Informationen zu Anwendungsgebieten erhalten Sie ausschließlich von Ihrem behandelnden Arzt“ sollte konsequent verwendet werden.
Darüber hinaus empfiehlt sich die kontinuierliche Beobachtung der Rechtsprechungsentwicklung und eine entsprechende Schulung des Marketingteams. Alle Werbemaßnahmen sollten dokumentiert und bei Grenzfällen juristische Beratung eingeholt werden.
Hinweis:
Im Zweifel sollte immer eine individuelle rechtliche Prüfung durch einen spezialisierten Anwalt erfolgen, um Abmahnungen und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
Strategische Überlegungen
Apotheken stehen auch vor der Frage, ob sie selbst gegen HWG-Verstöße der Konkurrenz vorgehen sollen. Grundsätzlich können sie bei klaren Verstößen abmahnen und so zur Marktbereinigung beitragen. Allerdings birgt dies Reputationsrisiken und bindet Ressourcen. Empfehlenswert ist ein solches Vorgehen nur bei groben, eindeutigen Verstößen und nach Sicherstellung der eigenen Rechtskonformität.
Fazit: Defensive Strategie als kluge Wahl
Die Cannabis-HWG-Rechtsprechung entwickelt sich dynamisch. Bis zur Klärung durch höhere Instanzen sollten Apotheken eine vorsichtige Linie fahren. Dies bedeutet konkret: sofortige Überprüfung aller Cannabis-Werbematerialien, Verzicht auf Indikationshinweise, Fokus auf sachliche Produktinformation und konsequente Verwendung qualifizierter Disclaimer.
Diese defensive Strategie mag kurzfristig Wettbewerbsnachteile bringen, schützt aber vor kostspieligen Rechtsstreitigkeiten und wahrt die apothekerliche Reputation. In einem sich entwickelnden Rechtsgebiet ist Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit – zumal sich die Rechtslage schneller klären könnte als erwartet.
CANAbene im Dialog
Sie haben Fragen?
Die rechtskonforme Bewerbung von medizinischem Cannabis stellt Apotheken vor komplexe Herausforderungen. Zwischen HWG-Bestimmungen und sich entwickelnder Rechtsprechung entstehen praxisrelevante Einzelfragen, die einer fachlichen Einordnung bedürfen.
Stellen Sie Ihre konkrete Frage zu diesem Beitrag – ob zu Formulierungsalternativen, Werbekanälen oder wettbewerbsrechtlichen Aspekten. Wir bieten Ihnen eine fachliche Einschätzung auf Basis der aktuellen Rechtslage und bewährter Marktpraxis.
Hinweis: Keine Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen konsultieren Sie bitte einen spezialisierten Rechtsanwalt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Gelten die HWG-Bestimmungen nach der Cannabis-Liberalisierung 2024 noch unverändert?
Ja. Das OLG Frankfurt stellte am 6. März 2025 eindeutig fest: Die Cannabis-Liberalisierung ändert nichts an den grundsätzlichen HWG-Bestimmungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Medizinisches Cannabis bleibt verschreibungspflichtig und unterliegt damit weiterhin den Werberegeln des HWG.
Was bedeutet das OLG Frankfurt-Urteil konkret für Apotheken?
Das Gericht untersagte einem Cannabis-Vermittlungsportal irreführende Fernbehandlungs-Werbung und Gesundheitsversprechen ohne wissenschaftliche Basis. Wichtig: Das Urteil konzentrierte sich auf irreführende Geschäftspraktiken, traf aber keine grundsätzlichen Aussagen zur Zulässigkeit von Indikationshinweisen bei ordnungsgemäßer Kennzeichnung.
Darf ich Indikationshinweise wie "bei chronischen Schmerzen" verwenden?
Nicht empfehlenswert. Obwohl nahezu alle Cannabis-Anbieter solche Hinweise verwenden, empfehlen wir einen defensiven Ansatz. Konkrete Indikationshinweise sollten vermieden werden, bis sich die Rechtsprechung geklärt hat.
Was ist bei Cannabis-Werbung definitiv zulässig?
Zulässig sind reine Produktinformationen wie Hersteller, THC/CBD-Gehalt und Verfügbarkeit, Hinweise auf Verschreibungspflicht und Arztvorbehalt sowie allgemeine Informationen über Cannabis als Arzneimittel.
Welche Werbeaussagen sind eindeutig unzulässig?
Direkte Heilungsversprechen ohne Arztvorbehalt, irreführende Fernbehandlungs-Werbung, gesundheitsbezogene Aussagen ohne wissenschaftliche Basis und die Verwendung von Patientenerfahrungen als Werbemittel.
Darf ich für Cannabis-Fernbehandlungen werben?
Nein. Das OLG Frankfurt bewertete die Bewerbung von Fernbehandlungen ohne angemessenen persönlichen Arztkontakt als unzulässig. Dies gilt besonders für Cannabis-Erstbehandlungen.
Was ist bei digitalen Cannabis-Angeboten zu beachten?
Digitale Angebote müssen den fachlichen Standards entsprechen. Die Verschleierung kommerzieller Interessen durch scheinbar neutrale Beratungsangebote ist unzulässig.
Wer kann mich bei HWG-Verstößen abmahnen?
Konkurrierende Apotheken, Ärzte- und Apothekerkammern sowie spezialisierte Abmahnvereine können bei eindeutigen Verstößen tätig werden. Die Cannabis-Branche steht unter verstärkter Beobachtung.
Mit welchen Kosten muss ich bei Abmahnungen rechnen?
Neben Anwaltskosten können Vertragsstrafen bei Wiederholungen entstehen. Konkrete Zahlen variieren je nach Fall und sollten mit einem Fachanwalt besprochen werden.
Welchen Disclaimer sollte ich verwenden?
Empfohlen wird: "Cannabis ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Informationen zu Anwendungsgebieten erhalten Sie ausschließlich von Ihrem behandelnden Arzt. Die Abgabe erfolgt nur gegen Vorlage eines gültigen Rezepts."
Reicht ein Disclaimer aus, um Indikationshinweise zu verwenden?
Nein. Ein Disclaimer allein macht problematische Werbeaussagen nicht automatisch zulässig. Er ist notwendig, aber nicht ausreichend für die Rechtskonformität.
Kann ich gegen Konkurrenten mit HWG-Verstößen vorgehen?
Ja, bei klaren Verstößen können Apotheken abmahnen. Dies empfiehlt sich jedoch nur bei groben, eindeutigen Verstößen und nach Sicherstellung der eigenen Rechtskonformität. Zu bedenken sind Reputationsrisiken und Ressourcenbindung.
Warum werben so viele Cannabis-Anbieter trotzdem mit Indikationshinweisen?
Die Cannabis-spezifische Rechtsprechung befindet sich noch im Aufbau. Viele Marktteilnehmer bewerten das Abmahnrisiko als kalkulierbar und nehmen mögliche rechtliche Konsequenzen bewusst in Kauf.
Was muss ich sofort überprüfen?
Alle Cannabis-Werbematerialien sollten auf problematische Indikationshinweise überprüft und diese gegebenenfalls entfernt werden. Gleichzeitig sollten qualifizierte Disclaimer implementiert und das Marketingteam entsprechend geschult werden.
Wie überwache ich die Rechtsprechungsentwicklung?
Empfehlenswert ist die kontinuierliche Beobachtung relevanter Urteile, die Dokumentation aller Werbemaßnahmen und die Einholung juristischer Beratung bei Grenzfällen.
Bin ich mit defensiver Strategie wettbewerblich benachteiligt?
Kurzfristig möglicherweise. Eine defensive Strategie schützt jedoch vor kostspieligen Rechtsstreitigkeiten und wahrt die apothekerliche Reputation. In einem sich entwickelnden Rechtsgebiet ist Vorsicht empfehlenswert.
Wann wird sich die Rechtslage klären?
Die Cannabis-HWG-Rechtsprechung entwickelt sich dynamisch. Bis zur Klärung durch höhere Instanzen sollten Apotheken eine vorsichtige Linie fahren, da sich die Rechtslage schneller klären könnte als erwartet.
Weiterführende Ressourcen:
Hinweis: Alle Links wurden auf Aktualität und Relevanz geprüft (Stand: Juni 2025). Bei sich schnell entwickelnder Rechtslage sollten die Quellen regelmäßig überprüft werden. Für konkrete Rechtsfragen empfiehlt sich die Konsultation eines spezialisierten Fachanwalts.
Weitere Fachbeiträge aus diesem Themenbereich
Was seit April 2024 gilt
Medizinal-Cannabis & Recht
Das MedCanG vereinfacht die Cannabis-Abgabe in Apotheken, stellt aber neue Anforderungen an rechtssichere Abläufe. Klare Prozesse und korrekte Abgrenzungen sichern eine wirtschaftliche Versorgung ...
Cannabis-Verordnungen
Wegfall des GKV-Genehmigungsvorbehaltes für berechtigte Fachgruppen
Seit Oktober 2024 entfällt für berechtigte Fachärzte die vorherige Krankenkassengenehmigung bei Cannabis-Verordnungen. Dies erhöht die Zahl der GKV-Verordnungen und bringt neue Herausforderungen für Apotheken ...
Cannabis-Abgabe:
Versandhandel oder Botendienst?
Wie Apotheken die Versorgung mit Medizinal-Cannabis flexibel, rechtssicher und patientennah gestalten können – ein Vergleich von Versandhandel und Botendienst.