
Experte für Cannabis-Systemlösungen im Interview
Zwischen Milliardenmarkt und Missbrauch: Warum Cannabis die Apotheke braucht
Cannabis-Verordnungen boomen, Telemedizin-Plattformen arbeiten im Minutentakt, die Politik diskutiert über Nachbesserungen – und mittendrin stehen die Apotheken. Ein Gespräch über Verantwortung, Qualitätskontrolle und die Frage, wer in einem wachsenden Milliardenmarkt tatsächlich das Sagen hat – und welche Rolle Apotheken als letztes Regulativ dabei spielen.
Zur Person
Andreas Mattolat ist Verlagskaufmann mit langjähriger Führungserfahrung in medizinischen Fachverlagen, Werbeagenturen und der strategischen Unternehmensberatung. Als verantwortlicher Organisator medizinischer Fachkongresse deutscher und europäischer Fachgesellschaften verfügt er über fundierte Kenntnisse pharmazeutischer Märkte und regulatorischer Strukturen.
Seit 2008 berät er mit Blacksnapper-Consulting mittelständische Unternehmen bei der Entwicklung tragfähiger Geschäftsmodelle und entwickelt innovative Konzepte für Business Development und B2B-Marketing mit dem Ziel der nachhaltigen Zukunftssicherung. Mit CANAbene berät er Apotheken beim strukturierten Aufbau der Medizinalcannabis-Versorgung.
Redaktion: Sie beraten Apotheken beim Einstieg in den Medizinalcannabis-Markt und liefern die ausgereifte Systemlösung gleich mit – und das in einem Umfeld, in dem viele Fachleute aus dem pharmazeutischen Bereich dem Thema eher mit Zurückhaltung begegnen. Was hat Sie dazu bewogen, sich intensiver mit diesem Feld zu beschäftigen?
Andreas Mattolat: Der entscheidende Impuls entstand Anfang 2024 in einem Gespräch mit meiner langjährigen Apothekerin. Eindrücklich schilderte sie, mit welchen wirtschaftlichen Belastungen die damals aktuellen Honorarreformen insbesondere für kleinere Apotheken einher gehen. Besonders prägnant war ihre Aussage: „Ich trage hier die Verantwortung, arbeite Stund um Stund – und am Ende profitiert vor allem mein Vermieter“.
Parallel dazu geriet das neue Cannabisgesetz in den Fokus der öffentlichen Debatte. Die politischen Zielsetzungen wie die Entkriminalisierung der Konsumierenden, die Sicherstellung einer kontrollierten Produktqualität und die nachhaltige Eindämmung des Schwarzmarkts erscheinen in ihrer Grundausrichtung schlüssig und begrüßenswert.
Im Hinblick auf die praktische Umsetzung allerdings offenbart das Gesetz eine grundlegende Lücke: Denn einerseits werden die legalen Besitzmengen deutlich ausgeweitet, andererseits jedoch sind keine lizensierten Abgabestellen vorgesehen. Damit stellt sich die Frage nach der Zielerreichung, wenn eine tragfähige Infrastruktur für die kontrollierte und qualitätsgesicherte Abgabe nicht vorgesehen ist?
Die aktuelle Marktentwicklung ergibt hingegen ein völlig anderes Bild: Die Datenlage zeigt exponentiell steigende Verordnungszahlen einhergehend mit rasant steigenden Importmengen. Wie Pilze aus dem Boden schießende Telemedizin-Plattformen mit Verordnungen im Minutentakt und schließlich eine schnell wachsende Anzahl spezialisierter Cannabis-Versandapotheken im Netz – ein dynamischer Markt entsteht, aber ohne echte Kontrolle.
Das alles basiert auf dieser strukturellen Lücke im Gesetz. Und wo eine Lücke ist, da wächst Dynamik oft an falschen Stellen. Und genau hierin sehe ich eine Chance für Apotheken, sich als zentrale Instanz in einem sich rasant wandelnden Markt zu positionieren.
Redaktion: Sie sprechen von einer strukturellen Lücke im System. Was genau meinen Sie damit – und worin besteht aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Gegenspieler zu dieser Entwicklung?
Andreas Mattolat: Die Lücke besteht darin, dass einerseits keine Abgabestellen vorgesehen sind, andererseits durch die Herausnahme von Medizinal-Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz ein florierender Markt rund um Privatverordnungen entsteht.
Vom Gesetzgeber gewollt oder ungewollt - entstanden sind mit den Cannabis-Apotheken de facto lizensierte Abgabestellen quasi durch die Hintertür der geltenden EU-Gesetzgebung. Das Ganze geschieht wildwüchsig, denn für diesen kritischen Markt gibt es bislang keine wirksame Regulierung.
Telemedizin-Plattformen etwa operieren mit hoher Taktfrequenz und automatisierten Abläufen. Die Folge sind Verordnungen im Minutentakt mit teils abstrusen Verordnungsmengen – das lässt sich schwer einfangen, solange keine echte Kontrolle an der Ausgabe erfolgt.
Und genau hier kommen die Apotheken ins Spiel. Ein verantwortungsbewusster Apotheker prüft, berät und greift ein, wenn etwas aus dem Rahmen fällt. Kommt ein Patient etwa mit einer wöchentlichen Verordnung von 50 Gramm und mehr, stellt sich automatisch die Frage nach Plausibilität. Solche Mengen sind technisch kaum konsumierbar – sie deuten auf Missbrauch oder gesetzwidrige Weitergabe hin.
In solchen Fällen ist die Apotheke das letzte funktionierende Regulativ im System – weil hier pharmazeutischer Sachverstand mit ethischer Verantwortung zusammenkommt. Und weil niedergelassene Apotheker den Kontakt zu verordnenden Ärzten suchen können – etwas, was auf Cannabis spezialisierte reine Online-Apotheken gar nicht leisten können.
Die Folge ist einfach: Wo Beratung stattfindet, sinkt auch die Taktfrequenz. Und genau das braucht es, wenn dieser Markt nicht nur funktionieren, sondern auch kontrolliert werden soll.
Was begegnet Ihnen in Gesprächen mit Apotheken am häufigsten?
Andreas Mattolat: Die Reaktionen reichen von fachlichem Interesse bis hin zu einer spürbaren, oft auch emotional geprägten Distanz. Ich habe durchaus Sätze gehört wie: „Wir sind stolz darauf, keine Cannabis-Apotheke zu sein“ und das verstehe ich.
Doch wenn man das Gespräch öffnet, merkt man: Die Abwehr richtet sich oft gegen ein Bild – nicht gegen die Sache selbst. Gegen den Eindruck, hier entstehe ein Markt ohne Kontrolle, mit falschen Anreizen und dem Risiko, vereinnahmt zu werden.
Was viele übersehen: Die Gesetzesänderung hat erstmals eine fachlich und rechtlich saubere Versorgung ermöglicht, auch wenn viele Detailfragen noch offen sind. Die Nachfrage steigt – nicht nur weil es plötzlich mehr „Konsumenten“ gäbe, sondern auch weil medizinische Versorgungslücken geschlossen werden. Und genau hierin liegt der Auftrag der Apotheke.
Wie definieren Sie diesen Auftrag genau?
Andreas Mattolat: Apotheken sind nicht nur Abgabestellen. Sie sind Beobachtende, Beratende, Begleitende im direkten Kontakt mit den Patienten – und dabei oft der letzte rationale Filter im System. Das Beispiel überhöhter Verordnungsmengen noch einmal aufgreifend: wenn ein Patient 50 Gramm pro Woche bezieht, mag das formal korrekt sein – aber auch auffällig. Und genau dann beginnt die Verantwortung: nachfragen, dokumentieren, beraten.
Ich glaube nicht, dass Apotheker die Rolle der Kontrolleure übernehmen sollten. Aber sie sind die Instanz, die rein finanziellen Interessen in diesem Wachstumsmarkt mit ihrer medizinischen Professionalität verbunden mit ihrem moralischem Kompass in Schach halten können. Und genau das macht ihren Wert aus, wenn sie dieser Rolle gerecht werden.
Was bieten Sie Apotheken an?
Andreas Mattolat: Wir bieten keine universelle Lösung, sondern einen Weg, der zum jeweiligen Standort, Team und Anspruch passt. Ich begleite Apotheken dabei, sich mit dem Thema zu beschäftigen – offen, unaufgeregt, fundiert. Dazu gehören technische Tools, aber vor allem auch Struktur, rechtliche Orientierung und wirtschaftliche Perspektive. Und das alles in einem Rahmen, in dem die Apotheke entscheidet: Wie weit? In welchem Tempo? In welcher Tiefe?
Nun steht das ganze Themenfeld Medizinalcannabis ja auf rechtlich noch immer unsicheren Füßen. Zwar wurde vereinbart, wie geplant erste Evaluierungen abzuwarten, doch der Widerstand innerhalb der neuen Regierungskoalition ist weiterhin spürbar. Was glauben Sie: Wohin wird sich dieser Markt entwickeln?
Andreas Mattolat: Meine persönliche Einschätzung ist, dass der Prozess nicht mehr umkehrbar ist. Die strukturellen Veränderungen treten zu deutlich hervor. Was wir aktuell erleben, ist nicht nur eine Anpassung gesetzlicher Vorgaben, sondern die Entstehung eines neuen Wirtschaftszweigs mit spürbarem Versorgungseffekt, verbindlichen Qualitätsstandards, zusätzlichen Arbeitsplätzen und nicht zuletzt auch einer fiskalischen Komponente.
Ein Gramm Cannabis vom Schwarzmarkt unterliegt keiner Umsatzsteuer, ein verordnetes hingegen schon. Ebenso zahlt ein Straßendealer auch keine Gewerbesteuer.
Ich bin überzeugt, dass sich der Markt regulieren lässt – vielleicht nicht perfekt, aber kontinuierlich besser. Apotheken nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein: Denn hier wird die medizinische Indikation nicht nur formal, sondern auch fachlich geprüft.
Der direkte Austausch mit verordnenden Ärztinnen und Ärzten ermöglicht Rückfragen, Abwägungen und klare Grenzziehungen. Telemedizin-Plattformen, die bislang mit hoher Taktung agieren, geraten in diesem Kontext zunehmend unter Druck, da ihr Geschäftsmodell nicht mit einer funktionierenden Beratungslandschaft kompatibel ist.
Langfristig wird sich der Markt einpendeln – nicht allein durch Regulierung, sondern vor allem durch professionelle Verantwortungsträger. Und dazu zählen in besonderem Maße Apothekerinnen und Apotheker.
Natürlich stellt sich in dieser Gemengelage die Frage: Wer investiert in einen Markt mit politisch offenen Flanken? Sind das nur besonders risikofreudige Apotheken?
Andreas Mattolat: Die Frage ist absolut berechtigt. Tatsächlich erfordert der Einstieg in den Medizinalcannabis-Markt ein gewisses Maß an unternehmerischem Mut, denn schließlich sind Investitionen in Beratung, Personal, Qualifizierung sowie gegebenenfalls in neue Prozesse und in Infrastruktur notwendig.
Gleichzeitig bietet aber gerade diese frühe Phase eines sich erst entwickelnden Marktes die Perspektive, sich strategisch zu positionieren und von überdurchschnittlichen Erträgen zu profitieren – sobald sich die Rahmenbedingungen weiter stabilisieren.
Nach meiner Einschätzung überwiegen hier die Chancen die Risiken – insbesondere, weil Apotheken ihr Engagement schrittweise und im eigenen Tempo ausbauen können. Ein iterativer Ansatz ermöglicht es, Erfahrungen zu sammeln, Strukturen anzupassen und sich gezielt auf die Anforderungen einzustellen.
Letztlich ist es eine unternehmerische Entscheidung, die mit Augenmaß getroffen werden muss. Wer sich jedoch frühzeitig engagiert und die Entwicklung aktiv mitgestaltet, verschafft sich einen nachhaltigen Vorsprung in einem zukunftsträchtigen Marktsegment.
CANAbene im Dialog
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Ob Versorgungspraxis, rechtliche Einordnung oder wirtschaftliche Abwägung – stellen Sie uns Ihre Frage. Wir antworten vertraulich, fachlich begründet und praxisnah.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Rolle spielen Apotheken bei der Qualitätskontrolle von Cannabis-Verordnungen?
Apotheken übernehmen eine wichtige Kontrollfunktion bei Cannabis-Verordnungen. Sie prüfen die Plausibilität von Verordnungsmengen und -intervallen. Bei auffälligen Verordnungen erfolgt eine fachliche Bewertung und gegebenenfalls Rücksprache mit dem verordnenden Arzt.
Wie unterscheidet sich die Cannabis-Versorgung zwischen niedergelassenen und Online-Apotheken?
Niedergelassene Apotheken können direkten Kontakt zu verordnenden Ärzten aufnehmen und eine persönliche Beratung anbieten. Dies ermöglicht eine intensivere fachliche Begleitung der Therapie im Vergleich zu rein online-basierten Versorgungsmodellen.
Welche strukturellen Herausforderungen bestehen im Cannabis-Versorgungssystem?
Das aktuelle System weist regulatorische Lücken auf. Während keine spezifischen Abgabestellen vorgesehen sind, entstehen durch Cannabis-Apotheken faktisch neue Versorgungsstrukturen. Diese entwickeln sich teilweise ohne spezifische Regulierung für den Cannabis-Bereich.
Welche Entwicklung ist für den Cannabis-Markt zu erwarten?
Der Markt zeigt kontinuierliches Wachstum und zunehmende Strukturierung. Die Versorgung entwickelt sich zu einem regulären Bestandteil der Arzneimittelversorgung mit entsprechenden Qualitäts- und Sicherheitsstandards.
Welche fachlichen Anforderungen stellt die Cannabis-Versorgung an Apotheken?
Cannabis-Versorgung erfordert spezifische Kenntnisse zu Produkteigenschaften, Anwendung und rechtlichen Anforderungen. Entsprechende Qualifikationen des Personals und systematische Prozesse sind für eine fachgerechte Versorgung erforderlich.
Wie ist das CANAbene-Vergütungsmodell strukturiert?
Das Vergütungsmodell besteht aus einer Setup-Gebühr, einer monatlichen Servicegebühr und einem erfolgsabhängigen Anteil. Der überwiegende Teil der Vergütung ist an den Erfolg gekoppelt, wodurch das finanzielle Risiko für Apotheken reduziert wird.
Weiterführende Ressourcen:
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